Veröffentlicht am Mai 21, 2024

Zusammenfassend:

  • Moderne Assistenzsysteme sind keine Autopiloten; ihre Sensoren haben klare Grenzen bei schlechtem Wetter oder unklaren Markierungen.
  • Der Fahrer bleibt rechtlich immer voll verantwortlich. Ein Eingriff des Systems entbindet nicht von der Aufsichtspflicht.
  • Der Schlüssel zur Sicherheit ist nicht blindes Vertrauen, sondern das Verstehen der Systemlogik und die Fähigkeit zur „aktiven Führung“ des Fahrzeugs.
  • In kritischen Situationen (Baustellen, Glätte) ist das bewusste Deaktivieren bestimmter Assistenten eine wichtige Sicherheitsmaßnahme.

Stellen Sie sich vor, Sie fahren auf der Autobahn durch eine enge Baustelle. Links die Betonschutzwand, rechts die orangefarbenen Baken. Plötzlich spüren Sie einen Ruck im Lenkrad – Ihr Spurhalteassistent hat die gelbe Baustellenmarkierung falsch interpretiert und versucht, Sie sanft, aber bestimmt in Richtung der Baken zu lenken. Dieser Schreckmoment, den viele Vielfahrer kennen, ist ein perfektes Beispiel für die Grenzen moderner Fahrerassistenzsysteme. Sie wurden entwickelt, um uns zu schützen, doch manchmal schaffen sie neue, unerwartete Gefahren.

Die landläufige Meinung ist, dass diese Systeme immer besser werden und uns das Fahren fast vollständig abnehmen. Man spricht von Notbremsassistenten, die Auffahrunfälle verhindern, und von intelligenten Tempomaten, die den Abstand halten. Doch die Realität ist komplexer. Die zunehmende Automatisierung führt zu Interaktionskonflikten zwischen Mensch und Maschine, besonders wenn die Bedingungen nicht ideal sind. Viele Ratgeber beschränken sich auf den Hinweis, die Sensoren sauber zu halten und wachsam zu bleiben.

Doch was, wenn der wahre Schlüssel zur Sicherheit nicht darin liegt, dem System passiv zu misstrauen, sondern seine „Systemlogik“ aktiv zu verstehen? Dieser Artikel verfolgt genau diesen Ansatz. Als Fahrsicherheits-Trainer zeige ich Ihnen nicht nur, *was* die Systeme tun, sondern *warum* sie es tun. Es geht um das Konzept der aktiven Führung: Sie lernen, Ihr Fahrzeug als Co-Piloten zu verstehen, dessen Vorschläge Sie annehmen oder bewusst überstimmen können. Sie sind der Kapitän, die Technik ist Ihr Erster Offizier – nicht umgekehrt.

Wir werden uns die technischen Hintergründe von Fehlfunktionen ansehen, die entscheidende Frage der rechtlichen Verantwortung bei einem Unfall klären und Ihnen ganz konkrete Handlungsempfehlungen für kritische Situationen an die Hand geben. So gewinnen Sie die Kontrolle zurück und nutzen die Technik sicher und souverän.

Dieser Leitfaden ist in acht Abschnitte unterteilt, die Sie durch die verschiedenen Facetten der modernen Fahrzeugassistenz führen. Von den Tücken bei Glätte über die rechtlichen Fallstricke bis hin zur Gefahr der Ablenkung durch Touchscreens decken wir alle praxisrelevanten Themen ab.

Level 2 vs. Level 3:Sicher fahren bei Glätte und Nässe: Welche 3 Reaktionen verhindern den Kontrollverlust?

Gerade wenn die Witterungsbedingungen schlecht sind, wünscht man sich die Unterstützung der Elektronik am meisten. Doch ausgerechnet bei starkem Regen, Schnee oder Glätte stoßen die Systeme an ihre physikalischen Grenzen. Die Kameras können durch Gischt oder Schneematsch „erblinden“, und Radarsensoren haben Schwierigkeiten, zwischen einer Wasserwand und einem echten Hindernis zu unterscheiden. Die größte Gefahr bei Nässe geht jedoch von Spurhalteassistenten aus. Ein aktueller ADAC-Test mit verschiedenen Level-2-Systemen hat gezeigt, dass diese bei starkem Regen die Fahrbahnmarkierungen oft nicht mehr zuverlässig erkennen. Meist schalten sie sich dann ab, doch die Warnung an den Fahrer erfolgt nicht immer rechtzeitig oder deutlich genug.

Das eigentliche Risiko entsteht, wenn der Assistent versucht, auf einer rutschigen Fahrbahn eine Lenkkorrektur vorzunehmen. Eine kleine, gut gemeinte Kurskorrektur, die auf trockenem Asphalt harmlos wäre, kann auf einer glatten Straße ausreichen, um das Fahrzeug ins Schleudern zu bringen. Hier ist die aktive Führung durch den Fahrer entscheidend. Es geht darum, die Systemlogik zu kennen und zu wissen, wann man dem System die Führung entziehen muss. Anstatt panisch gegenzulenken, ist eine sanfte, aber bestimmte Übersteuerung des Lenkimpulses der richtige Weg, um die Kontrolle zu behalten. Die Herausforderung besteht darin, einen unerwünschten Eingriff frühzeitig als solchen zu erkennen und nicht als eigene Fehleinschätzung zu interpretieren.

Plan d’action : 3 kritische Reaktionen bei Glätte mit Fahrassistenten

  1. Sensorfehler antizipieren: Bei starker Gischt, Schneefall oder Verschmutzung die Kamera- und Radarsensoren proaktiv prüfen und reinigen. Gehen Sie davon aus, dass die Systemleistung eingeschränkt ist.
  2. Gegenproduktive Eingriffe erkennen: Deaktivieren Sie den Spurhalteassistenten bei Glättegefahr oder auf schlecht markierten Straßen bewusst. Ein automatischer Lenkimpuls ist auf rutschiger Fahrbahn ein hohes Risiko.
  3. Kontrolle sanft zurückgewinnen: Wenn das System unerwünscht eingreift, lenken Sie nicht ruckartig dagegen. Übersteuern Sie den Lenkimpuls stattdessen mit gleichmäßigem, festem Druck, um dem System klar Ihre Absicht zu signalisieren.

Unfall im Autopilot-Modus: Wer zahlt, wenn der Assistent das Stauende übersieht?

Die Verlockung ist groß: Auf der monotonen Autobahnfahrt die Kontrolle an das Fahrzeug abgeben und sich entspannen. Doch die rechtliche Realität ist unmissverständlich, zumindest bei den heute weit verbreiteten Systemen des Levels 2. Auch wenn der Hersteller mit Begriffen wie „Autopilot“ wirbt, bleibt die volle Verantwortung ausnahmslos beim Fahrer. Der Grund für die Einführung dieser Systeme ist paradoxerweise, den Faktor Mensch auszuschalten, denn laut EU-Statistik werden bis zu 95 Prozent aller Verkehrsunfälle durch menschliches Versagen verursacht. Doch solange der Fahrer die Hände am Lenkrad und den Blick auf der Straße haben muss, bleibt er in der Haftung.

Im Falle eines Unfalls, etwa weil der Assistent ein Stauende zu spät erkennt, wird die entscheidende Frage lauten: War das System aktiviert und hat der Fahrer korrekt reagiert? Um dies zu klären, kommt eine „Blackbox“ ins Spiel, der sogenannte Event Data Recorder (EDR). Seit Juli 2024 ist er in allen neuen Fahrzeugtypen Pflicht. Dieses Gerät zeichnet permanent Daten auf, speichert aber nur die entscheidenden Sekunden vor, während und nach einem Crash. Diese Daten können dann zur Unfallrekonstruktion herangezogen werden. Sie belegen, ob der Fahrer versucht hat zu bremsen oder zu lenken und ob das System eine Warnung ausgegeben hat. Für den Fahrer ist dies ein zweischneidiges Schwert: Der EDR kann ihn entlasten, wenn ein System versagt hat, aber auch belasten, wenn er nachweislich unaufmerksam war.

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick, welche Daten der EDR speichert, um im Ernstfall Klarheit zu schaffen.

Event Data Recorder (EDR) – Gespeicherte Daten bei Unfällen
Datentyp Aufzeichnungszeitraum Verwendungszweck
Systemaktivierung 5 Sekunden vor Unfall Nachweis aktiver Assistenten
Fahrereingriffe Während des Unfalls Reaktion des Fahrers
Geschwindigkeit 5 Sekunden vor bis 0,3 Sekunden nach Unfall Unfallrekonstruktion
Warnungen 15 Sekunden vor Unfall Systemverhalten

Verlerntes Schulterblick: Wie verhindert man, dass Assistenten die eigene Aufmerksamkeit einschläfern?

Fahrerassistenzsysteme sind Fluch und Segen zugleich. Während sie die kognitive Last in vielen Situationen reduzieren, bergen sie eine schleichende Gefahr: die kognitive Falle der übermäßigen Abhängigkeit. Wenn der Totwinkelwarner zuverlässig piept und der Spurhalteassistent die Linie hält, lässt die eigene Wachsamkeit nach. Der routinemäßige Schulterblick wird seltener, die Konzentration auf das Verkehrsgeschehen sinkt. Dieses Phänomen ist keine Einbildung, sondern ein ernstzunehmendes Problem, das in der Luftfahrt als „Skill Degradation“ bekannt ist.

Nahaufnahme eines Fahrers beim Schulterblick mit aktivem Totwinkel-Assistent im Seitenspiegel

Wie die obige Aufnahme verdeutlicht, sollte der Assistent (hier das Licht im Spiegel) immer nur eine zweite Absicherung sein, niemals der Ersatz für die eigene Wahrnehmung. Der konzentrierte Blick über die Schulter bleibt die wichtigste Handlung beim Spurwechsel. Das Problem der „Skill Degradation“ zeigt, dass Fähigkeiten, die nicht regelmäßig genutzt werden, verkümmern. Piloten müssen daher regelmäßig manuelle Flugmanöver trainieren, um im Notfall handlungsfähig zu bleiben.

Fallbeispiel: Skill Degradation aus der Luftfahrt

Das Konzept der ‚Skill Degradation‘ ist aus der Luftfahrt gut dokumentiert, wo Piloten durch die hohe Automatisierung im Cockpit nachweislich an manuellen Flugfähigkeiten verlieren. Aus diesem Grund schreiben Fluggesellschaften regelmäßige Trainingseinheiten im Simulator vor, bei denen kritische Situationen ohne Autopilot gemeistert werden müssen. Verkehrssicherheitsexperten empfehlen Autofahrern eine ähnliche Strategie: Mindestens einmal pro Woche sollten auf bekannten und sicheren Strecken die Fahrassistenten bewusst deaktiviert werden. Ziel ist es, die eigenen Fahrfertigkeiten, wie den Schulterblick, das Einschätzen von Abständen und das Halten der Spur, aktiv zu trainieren und zu erhalten.

Die gute Nachricht ist: Sie haben stets die Kontrolle. Wie der ADAC betont, lassen sich Fahrerassistenzsysteme jederzeit übersteuern. Der Schlüssel liegt darin, diese Kontrolle bewusst zu nutzen und sich nicht in falscher Sicherheit wiegen zu lassen. Die Technik soll assistieren, nicht ersetzen.

Nerviges Piepen: Welche Assistenten darf man dauerhaft deaktivieren, ohne die Betriebserlaubnis zu verlieren?

Ein ständiges Piepen, Vibrieren und Blinken – moderne Autos können zu einer wahren Reizüberflutung führen. Besonders der intelligente Geschwindigkeitsassistent (ISA), der bei Überschreitung des Tempolimits warnt, wird von vielen Fahrern als nervig empfunden. Doch welche dieser wachsamen Helfer darf man legal abschalten, und welche müssen aktiv bleiben? Diese Frage gewinnt an Bedeutung, denn seit dem 7. Juli 2024 müssen gemäß der EU-Verordnung „General Safety Regulation 2“ (GSR2) alle neu zugelassenen Pkw mit einer ganzen Reihe von Assistenzsystemen serienmäßig ausgestattet sein.

Die gute Nachricht vorweg: Das dauerhafte Deaktivieren der meisten sicherheitsrelevanten Systeme führt nicht zum Verlust der Betriebserlaubnis. Der Gesetzgeber hat erkannt, dass es Situationen gibt, in denen die Systeme eher stören als helfen. Allerdings gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen temporärer und permanenter Deaktivierung. Viele Systeme, wie der Spurhalteassistent oder der Geschwindigkeitsassistent, aktivieren sich bei jedem Neustart des Fahrzeugs automatisch wieder. Sie können also nur für die Dauer einer Fahrt abgeschaltet werden. Andere, wie der Müdigkeitswarner, lassen sich oft dauerhaft über das Fahrzeugmenü deaktivieren.

Die folgende Übersicht zeigt, welche Regelungen für die wichtigsten, ab 2024 verpflichtenden Systeme gelten.

Deaktivierbarkeit von Fahrassistenzsystemen ab 2024
System Deaktivierung Rechtliche Folgen Sicherheits-Impact
ISA (Geschwindigkeitsassistent) Nur temporär pro Fahrt Keine Mittel
Spurhalteassistent Temporär möglich Keine Hoch
Notbremsassistent Teilweise temporär Keine Sehr hoch
Müdigkeitswarner Meist permanent möglich Keine Niedrig bis mittel

Tempomat und Co: Welche Systeme lassen sich per Software-Freischaltung günstig nachrüsten?

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum ein Basismodell die gleiche Frontkamera hat wie das Topmodell, aber keinen Spurhalteassistenten bietet? Die Antwort lautet: Die Hardware ist oft bereits verbaut, aber die zugehörige Software ist nicht freigeschaltet. Hersteller sparen so Produktionskosten und bieten Kunden gleichzeitig die Möglichkeit, Funktionen später nachzurüsten. Dieses Geschäftsmodell nennt sich „Functions on Demand“ (FoD) und wird immer beliebter. Gegen eine einmalige oder monatliche Gebühr können Sie so Systeme wie die Verkehrszeichenerkennung, einen Fernlichtassistenten oder erweiterte Tempomat-Funktionen direkt über das Infotainment-System Ihres Autos freischalten.

Dies ist besonders interessant für Gebrauchtwagenkäufer oder Besitzer von Fahrzeugen mit Basisausstattung. Wenn die notwendige Sensorik, wie eine Frontkamera oder Radarsensoren, bereits vorhanden ist, lassen sich viele Komfort- und Sicherheitsfunktionen rein per Software nachrüsten. Dazu gehören:

  • Verkehrszeichenerkennung: Möglich, wenn bereits eine Frontkamera für den Spurhalteassistenten verbaut ist.
  • Erweiterte Tempomat-Funktionen (z.B. Abstandshaltung): Oft als FoD vom Hersteller gegen Gebühr freischaltbar.
  • Müdigkeitswarner: Häufig software-basiert und nachrüstbar, wenn Sensorik zur Analyse des Lenkverhaltens vorhanden ist.
  • Visuelle Einparkhilfe: Bei vorhandenen Parkpiepsern ist die grafische Darstellung im Display oft nur eine Software-Aktivierung.

Neben den offiziellen Angeboten der Hersteller gibt es einen Graumarkt von Drittanbietern, die solche Freischaltungen per Codierung günstiger anbieten. Hier ist jedoch Vorsicht geboten.

Fallbeispiel: Functions on Demand vs. Codierung durch Drittanbieter

Hersteller bieten zunehmend „Functions on Demand“ als legale und garantiekonforme Methode zur Nachrüstung an. Die Freischaltung erfolgt über die offiziellen Server des Herstellers und stellt sicher, dass die Software perfekt auf die Fahrzeughardware abgestimmt ist. Im Gegensatz dazu steht die Codierung durch unabhängige Drittanbieter. Diese ist oft deutlich günstiger, birgt aber erhebliche Risiken. Unsachgemäße Codierungen können zum sofortigen Garantieverlust führen. Noch kritischer ist es bei sicherheitsrelevanten Systemen wie dem Notbremsassistenten: Eine fehlerhafte Programmierung kann hier im Ernstfall zu Systemversagen und somit zu rechtlichen Konsequenzen für den Fahrzeughalter führen.

Schatten als Hindernis: Warum bremst der Notbremsassistent unter Brücken grundlos?

Es ist ein weiterer Schreckmoment, den viele Fahrer kennen: Man fährt mit konstanter Geschwindigkeit auf eine Brücke zu, und plötzlich leitet das Fahrzeug eine grundlose, scharfe Bremsung ein. Diese sogenannten Phantombremsungen sind nicht nur irritierend, sondern auch gefährlich für den nachfolgenden Verkehr. Die Ursache liegt in der „Systemlogik“ des Notbremsassistenten und den Grenzen seiner Sensoren. Das System kombiniert die Daten von Kamera und Radar – ein Prozess, der als Sensor-Fusion bezeichnet wird.

Die Kamera ist darauf trainiert, Objekte zu erkennen. Ein harter, dunkler Schatten, wie er von einer Brücke oder einem großen Schild auf die helle Fahrbahn geworfen wird, kann von der Software fälschlicherweise als stehendes Hindernis interpretiert werden. Der Radar-Sensor hingegen misst Abstände zu physischen Objekten und sollte erkennen, dass sich unter der Brücke freie Fahrt befindet. Bei einer Phantombremsung ist die Abstimmung dieser beiden Informationsquellen fehlerhaft: Das System vertraut in diesem Moment zu stark dem Signal der Kamera und ignoriert die Entwarnung des Radars. Es löst eine Bremsung aus, weil es „denkt“, es würde auf eine schwarze Wand zufahren.

Makroaufnahme von Fahrzeugsensoren mit Schattenspiel auf der Linse

Weitere Auslöser für solche „False Positives“ können Dampf aus Gullydeckeln, im Wind wehende Plastiktüten oder sogar tiefe Sonnenspiegelungen auf einer nassen Fahrbahn sein. Die Sensibilität und die Qualität der Sensor-Fusion variieren dabei stark zwischen den Herstellern. Als Fahrer ist es wichtig zu wissen, dass solche Fehlfunktionen auftreten können. Anstatt in Panik zu geraten, sollte man durch einen kurzen, aber kräftigen Tritt auf das Gaspedal die Bremsung sofort übersteuern und dem System signalisieren, dass keine Gefahr besteht.

Warum Panikreaktionen den Bremsweg um entscheidende Meter verlängern?

Ein Notbremsassistent soll Kollisionen verhindern, wenn der Fahrer unaufmerksam ist. Doch was passiert, wenn der Fahrer die Gefahr gleichzeitig erkennt und selbst reagiert? Hier kann es zu einem gefährlichen Interaktionskonflikt kommen, bei dem eine gut gemeinte Fahrerreaktion die Rettungsaktion des Systems sabotiert. Viele Fahrer neigen in einer Notsituation zu panischen Ausweichmanövern oder zögerlichem Bremsen, anstatt eine volle Notbremsung einzuleiten. Die Ablenkung des Fahrers kann laut Studien das Unfallrisiko um bis zu 50 Prozent erhöhen, was die Wichtigkeit dieser Systeme unterstreicht, aber auch die Komplexität der Interaktion.

Wenn der Assistent bereits eine Notbremsung mit maximaler Verzögerung berechnet und einleitet, kann ein gleichzeitiger Lenkimpuls des Fahrers die Systemlogik durcheinanderbringen. Das Fahrzeug „versteht“ die widersprüchlichen Befehle nicht mehr und bricht im schlimmsten Fall die automatische Bremsung ab, um der Lenkbewegung des Fahrers zu folgen. Das Ergebnis: Der Bremsweg verlängert sich um entscheidende Meter, und es kommt zu einer Kollision, die das System allein hätte verhindern können.

Fallbeispiel aus ADAC-Test: Fahrerreaktion vs. Notbremsassistent

In einem Test des ADAC mit einem VW Golf 8 wurde genau dieses Szenario simuliert. Das Fahrzeug fuhr auf ein stehendes Hindernis zu. Wenn der Testfahrer nicht reagierte, leitete der Notbremsassistent eine perfekte Bremsung ein und brachte das Fahrzeug rechtzeitig zum Stehen. In einem zweiten Durchlauf sollte der Fahrer jedoch bei Einsetzen der Systemwarnung selbst eingreifen, indem er leicht bremste und lenkte – eine typische Schreckreaktion. Das Ergebnis war alarmierend: Die automatische Notbremsung erfolgte zu spät oder wurde durch den Lenkimpuls beeinträchtigt. Es kam zur Kollision. Das Fahrzeug konnte die doppelten und widersprüchlichen Eingaben nicht korrekt verarbeiten.

Die Lehre daraus ist klar und ein zentraler Bestandteil jedes Fahrsicherheitstrainings: Wenn das System eine Notbremsung einleitet (erkennbar an akustischen und visuellen Warnungen sowie einer starken initialen Bremsung), ist die beste Reaktion, voll auf der Bremse zu bleiben und das Lenkrad gerade zu halten. Vertrauen Sie in diesem Moment dem System, anstatt es durch eine Panikreaktion zu stören.

Das Wichtigste in Kürze

  • Sie sind als Fahrer immer der verantwortliche Fahrzeugführer, auch wenn Assistenzsysteme aktiv sind. Verlassen Sie sich nie blind auf die Technik.
  • Verstehen Sie die Grenzen der Sensoren: Schlechte Sicht durch Regen, Schnee, Nebel oder auch unklare Fahrbahnmarkierungen können zu Fehlfunktionen führen.
  • Trainieren Sie Ihre Fahrkompetenz aktiv, indem Sie regelmäßig bewusst ohne Assistenten fahren, um einer „Skill Degradation“ vorzubeugen.

Touchscreen vs. Tasten: Warum ist die Bedienung der Klimaanlage über Menüs bei 130 km/h gefährlich?

Die Cockpits moderner Autos werden immer minimalistischer. Physische Knöpfe und Regler für Klimaanlage, Sitzheizung oder Radio weichen riesigen Touchscreens, in deren Untermenüs die Funktionen versteckt sind. Was elegant aussieht, birgt eine massive Gefahr: die kognitive und motorische Ablenkung bei hoher Geschwindigkeit. Während ein erfahrener Fahrer einen Drehregler für die Temperatur blind ertasten und bedienen kann, erfordert die Bedienung eines Touchscreens immer den Blick des Fahrers – weg von der Straße.

Diese Ablenkung ist weitaus gefährlicher, als viele annehmen. Selbst eine scheinbar kurze Interaktion von wenigen Sekunden hat dramatische Folgen. Verkehrssicherheitsexperten haben die dafür notwendige kognitive Last analysiert und kommen zu einem erschreckenden Ergebnis.

4 Sekunden bei 130 km/h, um die Sitzheizung zu finden, bedeutet 144 Meter Blindflug – die Länge von eineinhalb Fußballfeldern.

– Verkehrssicherheitsexperten, Analyse der kognitiven Last beim Fahren

Dieser „Blindflug“ ist ein unkalkulierbares Risiko. In dieser Zeit kann ein anderes Fahrzeug die Spur wechseln, ein Stauende auftauchen oder ein Reifen platzen. Die aktive Führung des Fahrzeugs erfordert die ungeteilte Aufmerksamkeit des Fahrers. Die beste Strategie ist es, so viele Einstellungen wie möglich vor Fahrtantritt vorzunehmen und während der Fahrt auf komplexe Interaktionen mit dem System zu verzichten.

Checkliste: Sichere Bedienung während der Fahrt

  1. Vor Fahrtantritt: Stellen Sie Klimaanlage, Sitzheizung, Navigationsziel und Ihre bevorzugte Musik ein, bevor Sie den Motor starten.
  2. Sprachsteuerung nutzen: Machen Sie sich mit der Sprachsteuerung Ihres Fahrzeugs vertraut. Befehle wie „Temperatur auf 21 Grad“ sind die sicherste Methode für Anpassungen während der Fahrt.
  3. Beifahrer einbeziehen: Bitten Sie Ihren Beifahrer, komplexere Einstellungen im Infotainment-System vorzunehmen.
  4. Pausen nutzen: Nutzen Sie kurze Stopps an einer Ampel oder auf einem Parkplatz, um Einstellungen anzupassen, die nicht per Sprachbefehl oder Schnellzugriff erreichbar sind.

Die bewusste Entscheidung, Ablenkungen durch Bedienelemente zu minimieren, ist ein einfacher, aber extrem wirksamer Beitrag zur eigenen Sicherheit und der der anderen Verkehrsteilnehmer.

Nutzen Sie diese Erkenntnisse bei Ihrer nächsten Fahrt, um bewusst die Rolle des aktiven Fahrzeugführers einzunehmen und die Technik als das zu nutzen, was sie sein sollte: ein unterstützender Co-Pilot, nicht der alleinige Kapitän.

Häufige Fragen zum Verhalten von Fahrassistenzsystemen

Warum bremst mein Auto unter Brücken?

Die Kamera interpretiert starke Schatten als Hindernisse. Die Sensorfusion zwischen Kamera und Radar ist hier fehlerhaft abgestimmt und vertraut dem falschen Signal.

Welche weiteren ‚False Positives‘ gibt es?

Dampf aus Gullydeckeln, wehende Plastiktüten oder tiefe Sonnenspiegelungen auf nasser Fahrbahn können ebenfalls Phantombremsungen auslösen, da sie von den Sensoren als Hindernisse fehlinterpretiert werden.

Unterscheiden sich die Systeme zwischen Herstellern?

Ja, die Sensibilität und die Abstimmung der Systeme variieren stark. Einige Systeme, wie die von Tesla, gelten als eher ‚aggressiv‘ und reaktionsfreudig, während andere, z.B. bei Mercedes, als eher ‚konservativ‘ und zurückhaltend abgestimmt sind.

Geschrieben von Sabine Müller, DVR-zertifizierte Fahrsicherheitstrainerin und Verkehrspsychologin mit 15 Jahren Praxis auf Teststrecken. Expertin für Gefahrenabwehr, Fahrzeugbeherrschung und die Psychologie am Steuer.